Die Rational AG, ein Hersteller professioneller Küchentechnik, muss zum 18. März 2024 den MDAX verlassen, weil ein Basiskriterium für die Indexmitgliedschaft nicht mehr erfüllt wird: Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses des Aufsichtsrats gehört dem Gremium seit mehr als zwölf Jahren an und wird in der Folge nicht mehr als unabhängig angesehen. Dies entspricht nicht der Empfehlung C.10 des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), deren Befolgung die Deutsche Börse als eines der Qualitätskriterien für eine Index-Mitgliedschaft voraussetzt.
Fehlende Unabhängigkeit des Prüfungsausschussvorsitzenden nach DCGK
Die Empfehlung C.10 DCGK sieht vor, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses unabhängig von der Gesellschaft, deren Vorstand und kontrollierenden Aktionären sein soll. Bei der Einschätzung der Unabhängigkeit von Gesellschaft und Vorstand ist nach Empfehlung C.7 DCGK insbesondere zu berücksichtigen, ob das Aufsichtsratsmitglied selbst oder ein naher Familienangehöriger
- in den zwei Jahren vor der Ernennung Mitglied des Vorstands der Gesellschaft war,
- direkt oder als Gesellschafter oder in verantwortlicher Funktion eines konzernfremden Unternehmens eine wesentliche geschäftliche Beziehung mit der Gesellschaft oder einem abhängigen Unternehmen unterhält oder im Jahr bis zu seiner Ernennung unterhalten hat (z. B. als Kunde, Lieferant, Kreditgeber oder Berater),
- ein naher Familienangehöriger eines Vorstandsmitglieds ist oder
- dem Aufsichtsrat seit mehr als 12 Jahren angehört.
Diese Empfehlungen des DCGK sind keine verbindlichen Rechtsnormen. Für börsennotierte Aktiengesellschaften wird der DCGK aber mittelbar durch die gemäß § 161 Aktiengesetz jährlich abzugebenden Entsprechenserklärungen über die Anwendung und Einhaltung des DCGK rechtswirksam. Hinzu kommt, dass die Befolgung bestimmter Empfehlungen des DCGK wesentlich für die Aufnahme in einzelne DAX-Indizes ist. Dies ist nunmehr der Rational AG zum Verhängnis geworden:
Indexmitgliedschaft verlangt Befolgung bestimmter DCGK-Empfehlungen
Der DAX Equity Index Methodology Guide stellt das Regelwerk für die DAX-Indizes dar. Dieser Guide enthält auch sog. Basisanforderungen (basic criteria), denen die Gesellschaft und deren Aktien genügen müssen, um in bestimmten DAX-Indizes (u.a. DAX, MDAX und SDAX) gelistet werden zu können. Unter anderem ist vorgesehen, dass die oben dargestellte Empfehlung C.10 DCGK hinsichtlich des Prüfungsausschussvorsitzenden befolgt werden muss, ferner die Empfehlungen D.8 und D.9 DCGK, welche die Zusammenarbeit zwischen Abschlussprüfer und Aufsichtsrat/Prüfungsausschuss betreffen.
Die Deutsche Börse überprüft die Einhaltung der genannten Empfehlungen des DCGK anhand der jeweiligen veröffentlichten Entsprechenserklärungen der Gesellschaften, die in ihren Auswahlindizes gelistet sind. Sofern eine Gesellschaft eine relevante Abweichung von den genannten Empfehlungen erklärt, werden deren Aktien zur nächsten quartalsweise stattfindenden Indexüberprüfung aus dem jeweiligen DAX-Index entfernt – so nun geschehen im Fall Rational wegen Nichtbefolgung der Empfehlung C.10 DCGK.
2023 bereits Krones AG betroffen
Die Rational AG ist nicht die erste Gesellschaft, die aus diesem Grund aus dem MDAX ausscheidet. Im September 2023 musste sich bereits die Krones AG, ein Hersteller von Abfüllanlagen, wegen Nichtbefolgung der Empfehlung C.10 DCGK aus dem MDAX verabschieden. Deren damals neu gewählter Prüfungsausschussvorsitzender war in den zwei Jahren vor seiner Ernennung in den Aufsichtsrat Finanzvorstand der Gesellschaft gewesen. Im Juli 2023 aktualisierte die Krones AG vor diesem Hintergrund ihre Entsprechenserklärung dahingehend, dass die Unabhängigkeit des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses nicht mehr gewahrt sei. Die Aktien der Krones AG, die erst seit Juni 2023 (erneut) im MDAX gelistet waren, wurden daraufhin bereits im September wieder aus dem MDAX entfernt. Nachdem ein neuer Prüfungsausschussvorsitzender gewählt war, konnte die Krones AG zwischenzeitlich aber zunächst in den SDAX und schließlich auch wieder in den MDAX zurückkehren.
Fazit
Die Fälle Krones und Rational zeigen, wie wichtig die Einhaltung der Regelungen guter Corporate Governance ist. Auch wenn die Empfehlungen des DCGK nicht unmittelbar rechtsverbindlich sind, wirkt sich eine Abweichung von ihnen nicht nur auf das Vertrauen von Investoren und Öffentlichkeit in die Gesellschaft aus. Da die Deutsche Börse die Einhaltung von Teilen des DCGK auch als zwingende Voraussetzung für die Mitgliedschaft in bestimmten DAX-Indizes formuliert hat, droht vielmehr auch ein plötzlicher Ausschluss aus einem DAX-Index. Dies kann negative Folgen für Aktienkurs und Reputation des Unternehmens haben, insbesondere weil eine Abweichung von den genannten DCGK-Empfehlungen nicht bloß zu einer Rückstufung in einen anderen DAX-Index, sondern zum kompletten Ausschluss führt.
Der Fall Rational gibt allerdings auch Anlass darauf hinzuweisen, dass der DCGK Spielraum für die Beurteilung der Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds bietet. Auch wenn Indikatoren erfüllt sind, die nach Empfehlung C.7 DCGK bei der Einschätzung der Unabhängigkeit von Gesellschaft und Vorstand insbesondere zu berücksichtigen sind (z.B. im Fall Rational die Dauer der Aufsichtsratsmitgliedschaft von mehr als 12 Jahren), führt dies nicht zwingend dazu, dass das betroffene Aufsichtsratsmitglied tatsächlich seine Unabhängigkeit verliert. Vielmehr kann die Anteilseignerseite im Aufsichtsrat gleichwohl zu der Einschätzung gelangen, dass die Unabhängigkeit von Gesellschaft und Vorstand gewahrt ist, solange das betreffende Aufsichtsratsmitglied in keiner persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu Gesellschaft oder Vorstand steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann (Empfehlung C.7 Abs. 1 Satz 2 DCGK). Bei der Entscheidung kommt den Anteilseignervertretern im Aufsichtsrat ein Beurteilungsspielraum zu. Kommen sie zu der Einschätzung, dass die Unabhängigkeit trotz Erfüllung von Indikatoren im Sinne der Empfehlung C.7 DCGK gewahrt ist, soll dies aber zumindest in der Erklärung zur Unternehmensführung begründet werden (Empfehlung C.8 DCGK). Vor diesem Hintergrund sollte in der Unternehmenspraxis besonderes Augenmerk auf die Erstellung der jährlichen Entsprechenserklärungen und der Erklärung zur Unternehmensführung gelegt werden. Womöglich kann eine Abweichung mithilfe einer sorgfältigen und tragfähigen Begründung vermieden werden.