Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die umstrittene Frage vorgelegt, ob das Europarecht einer Haftung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern für gegen ihr Unternehmen verhängte Kartellbußgelder entgegensteht. Dabei gibt der BGH zu erkennen, dass nach nationalem Recht eine Geschäftsleiterhaftung möglich wäre. Wie sich nunmehr der EuGH in dieser Frage positioniert, ist über den Bereich des Kartellrechts hinaus von Interesse, etwa auch bei wertpapierhandelsrechtlichen Bußgeldern.
Sachverhalt
Gegenstand der Vorlageentscheidung des BGH ist die Haftungsklage einer in der Stahlproduktion tätigen GmbH sowie einer zur selben Unternehmensgruppe gehörenden Aktiengesellschaft. Das Bundeskartellamt verhängte gegen die erstgenannte Gesellschaft im Jahr 2018 ein Kartellbußgeld in Millionenhöhe wegen kartellrechtswidriger Absprachen. Die sanktionierte GmbH nahm daraufhin ein ehemaliges Mitglied ihrer Geschäftsführung, das an den Kartellabsprachen mitgewirkt hatte, unter anderem auf Erstattung des verhängten Bußgeldes in Anspruch (sogenannter Bußgeldregress). Ferner begehrte die zum selben Unternehmensverbund gehörende Aktiengesellschaft von der Führungskraft, die zugleich Mitglied ihres Vorstands war, unter anderem Ersatz der Rechtsanwalts- und IT-Kosten, die der Gesellschaft zur Abwehr des Bußgelds entstanden waren.
Die Klage ist in den Vorinstanzen weitgehend erfolglos geblieben. Sowohl das Landgericht Düsseldorf1 als auch nachfolgend das Oberlandesgericht Düsseldorf2 haben sich auf den Standpunkt gestellt, dass die beklagte ehemalige Führungskraft nicht für das gegen die Gesellschaft verhängte Kartellbußgeld hafte. In der Konsequenz sei auch kein Ersatz für Rechtsanwalts- und IT-Kosten geschuldet, wenn diese ausschließlich als Ermittlungs- und Rechtsverteidigungskosten zur Abwehr eines Bußgeldes bzw. zur Bußgeldreduktion entstehen. Die Geschäftsleiterhaftung für (kartellrechtliche) Unternehmensgeldbußen und damit verbundene Ermittlungs- und Verteidigungskosten blieb in der Folge allerdings umstritten.
Vorlageentscheidung des BGH
Dieser Frage hat sich nunmehr der BGH angenommen.3 Er hat mit seiner jetzigen Vorlageentscheidung nicht nur bestätigt, dass ein Mitglied des Vorstands bzw. der Geschäftsführung pflichtwidrig handelt, wenn es an kartellrechtswidrigen Absprachen mitwirkt, und dass dies grundsätzlich zu einer Geschäftsleiterhaftung für Schäden führen kann, die aus dem Kartellverstoß resultieren. Vielmehr hält der BGH wohl auch ein Bußgeld, das in der Folge gegen das Unternehmen verhängt wird, auf der Grundlage des nationalem Gesellschaftsrechts für einen ersatzfähigen Schaden. Rein nach nationalem Recht wäre damit eine Haftung der Geschäftsleitung für gegen das Unternehmen verhängte Geldbußen möglich (§ 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG).
Gleichwohl sieht der BGH sich daran gehindert, die Haftungsfrage abschließend zu beurteilen, weil europarechtliche Vorgaben einer Geschäftsleiterhaftung möglicherweise entgegenstehen könnten. Zur Begründung führt das höchste deutsche Zivilgericht aus, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) hätten sicherzustellen, dass bei Verstößen gegen europäisches Kartellrecht (Art. 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen das betroffene Unternehmen verhängt werden können. Die gebotene Wirksamkeit solcher Bußgelder könnte jedoch beeinträchtigt sein, wenn die Gesellschaft die Geldbuße (teilweise) auf ihre Geschäftsleitung abwälzen kann. Da nicht geklärt ist, ob dies mit Europarecht im Einklang steht, hat der BGH nunmehr dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die europarechtlichen Vorgaben einer Haftung von Geschäftsführern oder Vorstandsmitgliedern für ein gegen ihre Gesellschaft verhängtes Kartellbußgeld entgegenstehen.
Haftungsfrage weiterhin offen – Bedeutung über das Kartellrecht hinaus
Die umstrittene Frage, ob Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer für ein gegen ihr Unternehmen verhängtes Bußgeld haften, bleibt damit bis auf Weiteres ungeklärt. Wann der EuGH sich der Frage annehmen und wie er sich hierzu positionieren wird, ist abzuwarten.
Sollte der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass das Europarecht eine Haftung der Geschäftsleitung ausschließt, könnte dies Auswirkungen über den Bereich des Kartellrechts hinaus haben. Dann würde sich nämlich auch in anderen Bereichen, in denen aufgrund europarechtlicher Vorgaben Bußgelder gegen Unternehmen verhängt werden, die Frage stellen, ob ein Bußgeldregress bei der Geschäftsleitung durch die europarechtlichen Regelungen ausgeschlossen ist. Relevant wäre dies beispielsweise auch im Wertpapierhandelsrecht oder Datenschutzrecht.
Sofern der EuGH eine Geschäftsleiterhaftung für Unternehmensgeldbußen hingegen für möglich hält, hätte dies haftungstechnisch weitreichende Folgen für Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer. Denn dann ist davon auszugehen, dass der BGH die Haftungsfrage im Anschluss ebenfalls bejahen wird. Eine Haftung für Unternehmensbußgelder könnte in der Folge nicht nur solche Geschäftsleiter treffen, die aktiv an einem Rechtsverstoß mitgewirkt haben. Vielmehr könnten auch solche Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer in die Regresshaftung geraten, die es lediglich versäumt haben, ausreichende Maßnahmen gegen bußgeldbewerte Rechtsverstöße auf nachgeordneten Unternehmensebenen zu ergreifen. Dies wäre zudem wiederum nicht nur bei Kartellverstößen von Bedeutung, sondern auch in anderen Rechtsgebieten.
Praxisfolgen
Auch über den Bereich des Kartellrechts hinaus kann vor diesem Hintergrund bis auf Weiteres nicht ausgeschlossen werden, dass Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer für gegen ihr Unternehmen verhängte Bußgelder haften. In Anbetracht dessen bietet es sich jetzt für Unternehmen, gegen die eine Geldbuße verhängt worden ist, unter Umständen an, bis zur Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH auf den Abschluss einer Verjährungsverzichtsvereinbarung mit ihren Geschäftsleitern hinzuwirken. So kann verhindert werden, dass bis zu einer Entscheidung des EuGH Verjährungsfristen ablaufen und ein etwaiger Bußgeldregress, sollte der EuGH diesen zulassen, sodann an einer zwischenzeitlich eingetretenen Verjährung scheitert. Damit können gerade Aufsichtsratsmitglieder von Aktiengesellschaften sicherstellen, dass sie sich nicht im Nachhinein dem Vorwurf ausgesetzt sehen, sie hätten Haftungsansprüche gegen Vorstandsmitglieder verjähren lassen.
Auch unabhängig davon, wie der EuGH die Haftungsfrage letztlich entscheidet, bleibt der Aufsichtsrat zudem gehalten, etwaige Rechtsverstöße der Unternehmensleitung sorgfältig zu prüfen, im Kartellrecht ebenso wie in anderen Rechtsgebieten. Dies wird selbst dann nicht entbehrlich, wenn der EuGH eine Haftung von Geschäftsleitern für (Kartell-)Bußgelder verneinen sollte. Denn auch dann können durch Rechtsverstöße im Unternehmen immer noch andere Schäden entstehen, für die die Mitglieder der Geschäftsleitung gegebenenfalls haften (bei Kartellverstößen z.B. dadurch, dass die Gesellschaft von Kunden in Anspruch genommen wird, denen sie aufgrund der kartellrechtswidrigen Absprachen ihrerseits haftet). Stehen der Gesellschaft deswegen durchsetzbare Ersatzansprüche gegen ihre Geschäftsleiter zu, ist der Aufsichtsrat nach der Rechtsprechung grundsätzlich verpflichtet, diese zu verfolgen. Sieht er hiervon ohne ausreichende Gründe ab, droht den Aufsichtsratsmitgliedern ihrerseits die Haftung. Vor diesem Hintergrund bleibt es für Aufsichtsräte bei möglichen Rechtsverstößen der Unternehmensleitung in jedem Fall sinnvoll, Untersuchungen anzustellen und diese sowie die anschließend getroffene Entscheidung für oder gegen eine Inanspruchnahme der Geschäftsleitung sorgsam zu dokumentieren, um für später ggf. aufkommende Vorwürfe, zu wenig unternommen zu haben, gewappnet zu sein. Solange die Frage der Geschäftsleiterhaftung für (Kartell-)Bußgelder noch ungeklärt ist, kann es sich für betroffene Unternehmen dabei anbieten, auch den Umgang mit den hieraus resultierenden Unsicherheiten klar zu dokumentieren.
1 Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 10. Dezember 2021, Az. 37 O 66/20 (Kart).
2 Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2023, Az. VI-6 U 1/22 (Kart).
3 BGH, Beschluss vom 11. Februar 2025, Az. KZR 74/23.