Der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament haben am 14. Februar 2024 eine vorläufige Einigung im Hinblick auf den sog. Listing Act1 erzielt. Vorgesehen ist ein Maßnahmenpaket für Börsennotierungen, um insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) den Zugang zu Kapitalmärkten in der Europäischen Union zu erleichtern. Im Rahmen dessen sind unter anderem umfangreiche Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung (MAR)2 beabsichtigt, einerseits betreffend die Veröffentlichungspflicht von Insiderinformation (sog. ad hoc-Pflicht), andererseits im Hinblick auf die Bestimmungen über sog. directors‘ dealings.
Der Listing Act soll nach dem bisherigen Stand des Gesetzgebungsverfahrens aus zwei Richtlinien und einer EU-Verordnung bestehen. Die geplante Verordnung3 sieht dabei in ihrem Artikel 2 Änderungen an der MAR vor. Diese werden für erforderlich gehalten, weil einige Regelungen der MAR in ihrer derzeit geltenden Fassung eine besonders hohe Belastung für betroffene Unternehmen darstellen. Mit den Änderungen soll daher eine Verbesserung der Rechtsklarheit erreicht und die Beseitigung von unverhältnismäßigen Anforderungen vorgenommen werden. Dies soll wiederum die Attraktivität der Kapitalmärkte in der Europäischen Union erhöhen und gleichzeitig Anlegern einen angemessenen Schutz bieten.
Ad hoc-Pflicht für Zwischenschritte bei zeitlich gestreckten Vorgängen entfällt
Artikel 17 Abs. 1 MAR bestimmt, dass Emittenten Insiderinformationen unverzüglich zu veröffentlichen haben. Bislang gilt dies auch für Zwischenschritte bei zeitlich gestreckten Vorgängen (z.B. im Rahmen von M&A-Transaktionen), sofern die Zwischenschritte selbst eine Insiderinformation darstellen und keine (zulässige) Aufschubentscheidung getroffen wird. Künftig soll diese Pflicht zur Veröffentlichung von Zwischenschritten in zeitlich gestreckten Vorgängen entfallen und nur noch das Endereignis im Wege einer ad hoc-Mitteilung veröffentlicht werden. Allerdings soll die Definition der Insiderinformation in Artikel 7 MAR insoweit nicht verändert werden. Das bedeutet im Ergebnis, dass Zwischenschritte eines zeitlich gestreckten Vorgangs weiterhin Insiderinformationen darstellen und folglich zu Insiderhandelsverboten führen können, allerdings ohne, dass gleichzeitig eine Pflicht zur Veröffentlichung einer ad hoc-Mitteilung für den betreffenden Zwischenschritt besteht.
Der Emittent soll im Gegenzug aber verpflichtet sein, die den Zwischenschritt betreffende Insiderinformation bis zur Veröffentlichung geheim zu halten. Sofern diese Geheimhaltung nicht mehr gewährleistet werden kann, lebt die Veröffentlichungspflicht wieder auf und der Emittent ist verpflichtet, die betroffene Insiderinformation unverzüglich offenzulegen. Dieser Mechanismus gleicht damit dem, der bereits nach geltendem Recht im Fall des Aufschubs einer ad hoc-Mitteilung bekannt ist.
Aufschub der Veröffentlichung einer ad hoc-Mitteilung
Auch hinsichtlich eines solchen Aufschubs von ad hoc-Mitteilungen sieht der Verordnungsentwurf Änderungen vor: Sofern durch die Veröffentlichung einer ad hoc-Mitteilung berechtigte Interessen des Emittenten gefährdet werden, ist es bereits nach geltendem Recht möglich, die Veröffentlichung der Insiderinformation aufzuschieben (Artikel 17 Absatz 4 MAR). Bislang war eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Aufschubs, dass dieser nicht geeignet sein darf, die Öffentlichkeit irrezuführen. Diese Bestimmung soll nun eine (im Kern klarstellende) Änderung erhalten. Nach dem vorgesehenen neuen Verordnungswortlaut soll es darauf ankommen, dass die aufgeschobene Insiderinformation nicht im Widerspruch zu der letzten öffentlichen Mitteilung des Emittenten stehen darf. Die übrigen Voraussetzungen für den Aufschub (Eignung der Offenlegung zur Beeinträchtigung berechtigter Interessen des Emittenten; Geheimhaltung der Informationen kann sichergestellt werden) sollen unverändert bleiben.
Im ursprünglichen Listing Act-Entwurf der Europäischen Kommission waren zudem noch Änderungen hinsichtlich des Zeitpunkts vorgesehen, in dem die Aufsichtsbehörde über die Aufschubentscheidung zu informieren ist. Während bislang die Aufsichtsbehörde erst unmittelbar nach der späteren Veröffentlichung der Insiderinformation zu informieren ist, beabsichtigte die Kommission, eine Information künftig bereits unmittelbar nach der Aufschubentscheidung vorzuschreiben. Dieser Vorschlag hat sich allerdings nicht durchgesetzt und ist in der jetzigen Entwurfsfassung nicht mehr enthalten.
Vereinfachung der Insiderlistenregelung nicht mehr vorgesehen
Der Kommissionsentwurf sah zudem noch vor, die Insiderlistenregelung der MAR zu vereinfachen. So sollten zunächst künftig im Grundsatz nur noch solche Personen in die Insiderliste aufzunehmen sein, die aufgrund ihrer Funktion oder Position stets auf Insiderinformationen zugreifen können (permanente Insiderliste). Dieser Vorschlag ist nun aber ebenfalls vom Tisch, sodass es bei den bestehenden, umfangreicheren Listenführungspflichten bleibt. Emittenten und in ihrem Auftrag oder für ihre Rechnung handelnde Personen bleiben damit – bis auf bereits bislang geltende Einschränkungen für KMU – unverändert verpflichtet, alle Personen in die Insiderliste aufzunehmen, die für sie Aufgaben wahrnehmen und hierdurch Zugang zu Insiderinformationen haben (Artikel 18 Abs. 1 MAR).
Anhebung der Schwellenwerte bei directors‘ dealings und Erleichterungen bei closed periods
Änderungen erfahren sollen nach dem jetzigen Entwurf die Regelungen der MAR über Eigengeschäfte von Führungskräften mit ihrem Unternehmen (sog. directors‘ dealings oder managers transactions). Gemäß Artikel 19 Absatz 1 MAR haben Führungskräfte, die directors‘ dealings tätigen, dies dem Unternehmen und der Aufsichtsbehörde zu melden. Die Meldepflicht besteht dabei nach geltendem Recht grundsätzlich, sobald mit den getätigten Geschäften ein Schwellenwert von EUR 5.000,00/Jahr erreicht worden ist. Allerdings war es den zuständigen nationalen Behörden schon bislang möglich, den maßgeblichen Schwellenwert auf EUR 20.000,00/Jahr anzuheben, wovon die BaFin seit dem 1. Januar 2020 Gebrauch macht. Dieser erhöhte Schwellenwert von EUR 20.000,00/Jahr soll nun auch in der MAR selbst festgeschrieben werden. Die Befugnis der nationalen Aufsichtsbehörden soll in diesem Zug dahingehend angepasst werden, dass diese die Schwellenwerte künftig auf bis zu EUR 10.000,00 absenken und auf bis zu EUR 50.000,00 anheben können.
Ferner verbietet es die MAR im Grundsatz, directors‘ dealings innerhalb von 30 Tagen vor der Ankündigung eines Zwischen- oder Jahresabschlussberichts zu tätigen (sog. closed periods). Allerdings sind bereits bislang Ausnahmen von diesem Verbot vorgesehen. Diese Ausnahmen sollen nach dem Verordnungsentwurf erweitert werden und künftig insbesondere Geschäfte umfassen, die nicht aufgrund einer aktiven Entscheidung der Führungsperson vollzogen werden (z.B. Derivatgeschäfte, die außerhalb des 30-Tage-Zeitraums vereinbart wurden).
Fazit und Ausblick
Insbesondere der Wegfall der ad hoc-Pflicht für Zwischenschritte von zeitlich gestreckten Vorgängen stellt eine nicht unbeachtliche Erleichterung für betroffene Unternehmen dar und ist deshalb ohne Frage zu begrüßen. Dabei darf aber nicht aus dem Blick geraten, dass die Prüfung, ob ein solcher Zwischenschritt eine Insiderinformation darstellt, auch auf Grundlage des Verordnungsentwurf nicht zwangsläufig entfällt. Weil solche Zwischenschritte vielmehr auch künftig eine Insiderinformation darstellen können – nur eben eine nicht mehr Ad hoc-veröffentlichungspflichtige –, haben betroffene Unternehmen weiterhin genau zu prüfen, ob und wann die Schwelle zur Insiderinformation überschritten ist.
Die Erweiterung der Ausnahmen für directors‘ dealings in closed periods ist ebenfalls zu begrüßen. Diesbezüglich wird zu beobachten sein, ob die BaFin von der Möglichkeit Gebrauch macht, die Schwellenwerte im Hinblick auf die Meldepflichten weiter anzuheben; zumindest möglich wären nach dem Verordnungsentwurf Schwellenwerte von bis zu EUR 50.000,00.
Die offizielle Verabschiedung des Listing Acts durch den Rat der Europäischen Union und das Parlament bleibt abzuwarten, gilt jedoch als sicher.
3 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EU) 2017/1129, (EU) Nr. 596/2014 und (EU) Nr. 600/2014 zur Steigerung der Attraktivität der öffentlichen Kapitalmärkte in der Union für Unternehmen und zur Erleichterung des Kapitalzugangs für kleine und mittlere Unternehmen. Abrufbar über den unter 1 eingefügten Link.